Gemeinwohlökonomie – Bildungsexkursion nach Postbauer-Heng März 2023

zum Thema Gemeinwohlökonomie / Soziale Kommune

Das Deutschordenschloss in Postbauer-Heng, zu Beginn unserer Exkursion schien sogar die Sonne.

Schon auf dem Weg vom Bahnhof zum Deutschordenschloss Postbauer-Heng wurde schnell klar: auch hier sorgt eine vielbefahrene Bundesstraße, die sich durch den Ort schlängelt, für erhitzte Gemüter. Und wie steht es sonst so mit der Harmonie in der Gemeinde? Auf die Antwort waren sicherlich alle gespannt!

Die zweite und dritte Bürgermeisterin von Postbauer-Heng begrüßten uns: Angelika Herrmann (CSU) und Gabriele Bayer (Grüne). Wir merkten schnell: hier stimmt die Chemie, und die Fraktionen arbeiten im Sinne der Gemeinde zusammen, womit die anfängliche Frage der Harmonie ziemlich schnell abgearbeitet war.

Nach einem Überblick über Zahlen und Fakten, den uns beide gemeinsam gaben, war klar: auch PBH kämpft mit vielerorts bekannten Problemen wie einer großen Nachfrage nach Wohnraum durch die Nähe zu Nürnberg.

Der Ort sei aber beispielsweise durch gute Planungen in der Lage, allen Eltern einen Kita-Platz für ihre Kinder bieten zu können, es gäbe enge Netzwerke zum Nürnberger Land sowie eine enge interkommunale Zusammenarbeit, die das Miteinander und „An-einem-Strang-ziehen“ in der Kommunalpolitik erheblich erleichtere.

Wie kam es nun zur Zertifizierung als „Gemeinwohl-Gemeinde“?

Angelika Herrmann hatte „Die Vorstufe zum Paradies für uns alle“ gelesen (von Gunther Moll, Sarah Benecke und Günter Grzega), woraufhin der Gemeinderat im Februar 2019 eine Podiumsdiskussion mit den Autoren organisierte. Grüne und Bürgerblock haben daraufhin nach dem Vortrag durch die drei Autoren des Buches einen Antrag zur Gemeinwohlbilanzierung für Postbauer-Heng gestellt. Dieser wurde zunächst in einen Besuch nach Kirchanschöring im Oktober 2019 abgeändert und daher einstimmig angenommen. Kirchanschöring war bis dato die erste GWÖ-Gemeinde in Bayern. Spätestens seit dem Besuch dort stand für alle GR-Mitglieder fest: das wollen wir für Postbauer-Heng auch!

Also wurde im Juni 2020 der einstimmige Beschluss zur Gemeinwohl-Zertifizierung gefasst, der Artikel 14 GG lag dabei dem Entschluss zugrunde:

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Hiernach fungieren Kommunen als Multiplikatoren der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Kein Wunder, sind sie doch die größten Investoren bei Beschaffungen: 58% werden durch die Kommunen beschafft, was einem Investitionsvolumen von rund 350 Mrd. Euro jedes Jahr entspricht!

Es wurde ein Kernteam für das Vorhaben gebildet, das aus zwei externen GWÖ-Berater*innen bestand, einer studentischen Hilfskraft der TH Nürnberg Georg-Simon-Ohm, allen drei Bürgermeister*innen plus dem Kämmerer und dem Geschäftsleiter der Gemeinde.

Im Oktober 2020 fand der Auftaktworkshop statt, der Abschlussworkshop bereits ein Jahr später im Oktober 2021.

Zusätzlich gab es zwei Workshops mit Unternehmen und Gewerbetreibenden, um Unsicherheiten auszuräumen, klar zu machen, worum es geht und von Anfang an alle so gut es geht einzubinden.

Als Bewertungsgrundlage diente die GWÖ-Matrix, ein Modell für die Organisationsentwicklung und Bewertung von unternehmerischen und gemeinwohl-orientierten Aktivitäten.

Bei Workshops wurde ein Handbuch abgearbeitet, Fragen wie „wo stehen wir?“, „was planen wir?“ dienten als Gradmesser des Fortschritts. Als Beispiel nannten die Bürgermeisterinnen die Frage: wie kommen Mitarbeitende an den Arbeitsplatz, GR zur Sitzung etc. Diese Frage wird dann alle 2 Jahre erneut gestellt.

Bei vielen Anschaffungen werde auch erstmal hinterfragt: brauchen wir das überhaupt und wenn ja, in der bisher beschafften Menge oder kommen wir auch mit weniger aus?

Der MGR priorisierte im weiteren Verlauf 12 Punkte aus 200 im Bericht erarbeiteten Zielen.

Um auch die Bürger*innen auf diesem Weg mitzunehmen, wurde ein GWÖ-Fest organisiert, was sich vieler Besucher*innen erfreute.

Der jährliche GWÖ-Kongress in der TH Nürnberg spielt eine zentrale Rolle in der Weiterentwicklung des Modells, im November 2023 wird bereits der dritte stattfinden.

Für die Mobilitätswende im Ort initiierte der MGR eine Machbarkeitsstudie mit Bürger*innenbeteiligung. Vor allem die Einzelhändler im Ort stuften als schwierig ein, in Zukunft weniger Parkplätze in der zentralen Einkaufsstraße zu haben.

Der Kämmerer bekam Unterstützung in Form eines Assistenten, um sich mehr den Aufgaben für GWÖ widmen zu können. Die Planung der Gemeinde läuft erstmal bis 2026. „Das Thema muss Chefsache sein, sonst wird es nichts!“ waren sich Angelika Herrmann und Gabi Bayer einig.

Die Zahl für die benötigten Investitionen bezifferten Herrmann und Bayer auf etwa 35.000 Euro für Berater und Workshops.

Nach dem lebbhaften Input und regen Nachfragen unserer Teilnehmer*innen sowie einem Mittagssnack ging es dann in die Praxis, und wir besichtigten im Ort folgende Stationen:

Auf geht´s zum praktischen Teil unserer Bildungsexkursion!
Die erste Station: der Familienstützpunkt…
Ein Ort zum Café trinken, zusammenkommen, austauschen und auch Beratung aufsuchen.
Wie der Name nahelegt: Kinder willkommen und oft auch im Zentrum des Austauschs und der Beratung.
Weiter ging es zum Kindergarten, dem „Zirkuszelt“. Die Dachform dient der Isolierung und Belüftung. Der Kindergarten stand schon baugleich im Nachbarort, so dass zwischen Beschluss, Umsetzung (in Holzbauweise) bis zur Eröffnung nur ein (rekordverdächtiges) halbes Jahr lag!
Die schöne und moderne Turnhalle von Postbauer-Heng (, die leider viel zu teuer geraten ist), im Hintergrund die Grundschule und links das kleine Haus, dass in neuer Nutzung zu einer Art Bürgerzentrum umgebaut werden soll.
Das Biomasse-Nahwärmenetz Postbauer-Heng, direkt zwischen Jugendzentrum und Feuerwehr.
Ein Teil des Jugendzentrums von Innen.
Letzte Station war der Bewegungspark mit Spielplatz, Minigolf und einem Naturseebad, was mit sehr viel ehrenamtlichen Einsatz betrieben wird.

Und welcher Eindruck bleibt am Ende der Exkursion? Prädikat: unbedingt nachahmenswert! Es war sehr schön und wohltuend zu sehen, wie auch Parteien, die oft genug weit auseinander liegen im politischen Diskurs, auf kommunaler Ebene sachlich und fair miteinander arbeiten können!

Wir arbeiten gerade an zwei Artikeln für unseren Wissenswert-Mitgliederbereich, mit weiterführenden Infos und Links zu den Themen „Gemeinwohl-Ökonomie“ und „Beschaffungsrichtlinie“!

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Über den Autor

AnjaOdendahl